Montag, April 14, 2008

more on introductions and contradictions

Von Neil, Donnerstag, 10 April 2008, 00:12 Uhr

Mehr über Einleitungen und Widersprüche

Zeit für eine weitere Einleitung, denke ich.

Einleitungen sind so merkwürdige Dinge. Man schreibt sie und weiß doch nie, ob sie irgendwem etwas gebracht haben. Ich habe zum Beispiel vor kurzem das hier bekommen:

Warum denkst du qualifiziert zu sein, dich über Bob Kane zu äußern, wenn es klar ist, dass du prktisch nichts über ihn weißt?

Du hast mir durch deine schlecht durchdachten Kommentare über Kane in deiner Einleitung verleidet, ein Buch von Will Eisner zu kaufen. (Kane, nicht Jerry Robinson, hat die Batman Geschichten von 1939-43 gezeichnet.) Falls du mehr Information brauchst, verlass dich nicht auf Gerüchte sondern auf verlässliche Quellen. Entweder das, oder ich kann dir auch eine Übersicht schicken. Ich recherchiere nämlich.



Und verwirrt schrieb ich zurück:

Hallo.

Dein Brief hat mich etwas verwirrt, also habe ich die beiden Einleitungen, die ich für Bücher von Will Eisner geschrieben habe, noch einmal durchgesehen, und habe eine einzige Erwähnung von Bob Kane gefunden. Ich habe in Nortons CITY STORIES Sammlung geschrieben:

Ich wollte wissen, warum er weiter machte, warum er immer noch Comics machte, als seine Zeitgenossen (und seine Zeitgenossen waren Leute wie Bob Kane -- bevor er Batman gemacht hat) sich schon lange zurückgezogen hatten und mit dem Erzählen und Zeichnen von Geschichten aufgehört hatten, und Vergangenheit waren.

Was mich vermuten lässt, dass du wahrscheinlich eine andere Einleitung von jemand anderem gelesen hast, und besser demjenigen irritierte EMails schreiben solltest, nicht mir.

Alles Gute

Neil


Aber die Emailadresse, die angegeben war, war falsch und meine Antwort kam zurück. (Ich nehme mal an, das war keine Absicht -- ein kurzes Googlen ließ mich auf jemanden mit dem gleichen Namen bei Wikipedia stoßen, wo er enthusiastisch den Ruf von Bob Kane verteidigt.) Also stelle ich es mal hier rein in der Hoffnung, dass der grummelige Herr es zu lesen bekommt.

Aber ab und zu bekommt man auch so etwas:

Hey Neil,


Was Einleitungen angeht wollte ich dir nur sagen, dass ich vor Jahren beim Durchwühlen der Haufen bei USC auf eine Robert Silverberg Abteilung gestoßen bin und zu mir selbst gesagt habe"Hmm,den Namen kenne ich."

Ich habe eins der Taschenbücher (The Man in the Maze) genommen und siehe da, du hattest die Einleitung dazu geschrieben!

Natürlich habe ich es auf deine Empfehlung hin ausgeliehen und dabei einen erstaunlichen Autoren entdeckt, den ich ansonsten übersehen hätte, und natürlich habe deinen Blog durchsucht und herausgefunden, dass es tatsächlich du warst, bei dem ich dem Namen zum ersten Mal begegnet bin.

Also dankeschön! Und schreib weiter Einleitungen (und alles andere auch!)

- Theresa B


Was mich daran erinnerte, dass es da eine Einleitung für Robert Silverberg gibt, die ich mit großer Freude geschrieben habe (und die von manchen mit großer Freude gelesen wird). Also hier ist sie, die Einleitung zu Bob Silverbergs The Man in the Maze :


Die Wunde, die Niemals Heilt: eine Einleitung.


Nach einigen tausend Jahren sind die Details etwas unsicher. Aber der Kern der Geschichte ist folgender: Philoktetes nahm an der Einäscherung von Herkules teil und ihm wurde Herkules Köcher mit vergifteten Pfeilen geschenkt. Und etwas ist passiert - ein Schlangenbiss, oder vielleicht ist einer der magischen Pfeile ihm auf den Fuß gefallen. So oder so verletzte sich Philoktetes am Fuß und es war eine Wunde, die nicht heilen wollte. Manchmal tun sie es nicht.

Der Trojanische Krieg hatte gerade begonnen und Philoktetes ging, um mit den Griechen zu kämpfen, die Troja belagerten. Es gab allerdings ein Problem. Die Wunde. Sie stank. Ein beunruhigender Gestank ließ allen Leuten um Philoktetes übel werden. Sie roch nach Tod. Sie roch schlimmer als der Tod.

Philoktetes wurde ins Exil geschickt.

Die Belagerung von Troja zog sich weitere zehn Jahre hin.

Und dann träumte jemand einen Traum, einen wichtigen traum, einen weissagenden Traum: falls die Pfeile des Herkules nach Troja gerbacht werden würden, dann würde Troja fallen. Man schickte einen Boten zu Philoktetes und lud ihn ein, zurückzukommen. Aber Philoktetes hatte keine Lust, zurückzukehren...

Und da die guten Geschichten sich halten und immer wieder erzählt werden können (und vielleicht erzählt werden müssen), ist Philoktetes Wunde auch die von Muller, einem des grimmigen Trios die immer wieder die Bühne betreten in The Man in the Maze, Robert Silverberg Roman von 1969, auch wenn Mullers Wunde keine körperliche Ausdünstung ist sondern eine geistige: eine ansteckende Verzweiflung, der schreckliche Geruch der menschlichen Verfassung.

The Man in the Maze deutet an, dass es eine gute Sache ist, dass wir von einander isoliert sind: wir werden verwundet durchs Leben, durch unsere bloße Existenz, und wir könnten den Gestank unserer Seelen gegenseitig nicht ausstehen.

Science Fiction ist mehr als jede andere Form von Literatur ein fortschreitender Prozess, der mit einem Mindesthaltbarkeitsdatum versehen ist. Manche als SF kann unlesbar werden. Mancher Ruf erodiert mit der Zeit. Was uns anspricht, obwohl das Mindesthaltbarkeitsdatum längst abgelaufen ist, ist Kunst und vielleicht auch etwas Wahres.

Es war Robert Silverberg, unter anderem ein Autor der Phantastik, der uns eine geschichte gebracht hat, in der Archäologen Texte der 1960er ausgraben und sich über die Texte von Bob Dylan wundern, Leerstellen füllen müssen. Bis zu einem gewissen Grad sind wir heute in der gleichen Position, wenn wir die Phantastik von früher betrachten. Es sind Texte, die nach Kontext verlangen.


Silverberg hat sowohl als Autor als auch als Schriftsteller auf verschiedenste Art und Weise Karriere gemacht. Seitdem er begann SF zu schreiben, hat er einen breiten Intellekt und ein Können als Schriftsteller bewiesen, die ihm am Beginn seiner Karriere den Ruf verschafften, einen Band kompetenter Geschichten auf Bestellung liefern zu können. In den späten 60ern und frühen 70ern begann er eine Periode von erstaunlicher Fruchtbarkeit und Qualität - Jahre, in denen er tiefer schürfte, ehrlich und kantig schrieb und Ansprüche an sich selber stellte, die zu solchen Romanen wie Dying Inside und The Stochastic Man führten. Dann ließ er erschöpft die SF hinter sich, bloß um zurückzukehren und uns in seinem historischen Roman Lord of Darkness mit der Perspektive eines SF Autoren ins Elizabethanische Afrika zu führen, und darüber hinaus über die Grenzen der Fantasy in den Majipoor Zyklus.

The Man in the Maze ist aus der Anfagszeit seiner kantigsten Periode. Ich halte es für ein Brückenbuch, weil es mutig ist, neues Territorium erkundet , mit einem Fuß in der New Wave Ecke steht, aber trotzdem seine Wurzeln nicht vergisst. Aus der Entwickung der SF haben wir Anklänge von Space Opera, komplett mit unverständlichen Aliens und unerklärlichen Artefakten.

Wir bekommen auch ein paar merkwürdige Einblicke in die Gegenwart. Literatur, die Zeiten vorhersagt und erschafft, lässt sich selbst, aus Notwendigkeit, außen vor. In diesem Roman erkenenn wir den Irrgarten wie kein Leser es 1969 hätte tun können. Der Irrgarten ist eine einfallsreiche Todesfalle – damals eine erstaunlich einfallsreiche Kreation, die heute etwas blass erscheint, weil sie sofort als Bestandteil von Computerspielen erkannt wird – eine Übung für Reflexe und Gedächtnis, Urteilsvermögen und Vorstellungskraft. Der Weg durch den Irrgarten, unter Benutzung von Dronen und Freiwilligen, die ihr Leben dafür geben, ist der Weg durch ein Spiel – finde lebend zum Zentrum, vermeide Gefangennahme, erreiche dein Ziel.

Es ist heute einfach, den Irrgarten für selbstverständlich zu halten, ihn zum Hintergrund werden zu lassen: aber der Irrgarten in all seinen Erscheinungsformen ist einer der Charaktere in diesem Roman.

Ich habe anfangs die Geschichte von Philoktetes hervorgehoben, nicht um euch einen Schlüssel zu dem Roman in euren Händen zu geben (es gibt keine einfachen Schlüssel zu guten geschichten, und es sollte auch keine geben), sondern um zu zeigen, in welcher Tradition Silverbergs Geschichte steht.

Ich vermute, der Titel ist so wichtig wie alles andere auch, wenn man eine Geschichte fassen möchte. (Es ist der Mann im Irrgarten, nicht die Frau, wie der Leser bald merkt – das Fehlen von Frauen in der Geschichte, von Kurtisanen und Erinnerungen an sexuelle Erlebnisse abgesehen, lässt die Geschichte wie etwas aus unserer Vergangenheit wirken.) Wenn wir zu lesen beginnen ist die Identität des Mannes offensichtlich: es ist Muller -- wer sonst könnte es sein? Aber während die Reise durch das Buch fortschreitet und zum Ende kommt, fragt man sich, wer der Man wirklich war, und was der Irrgarten wirklich war: die Kandidaten sind Ned Rawlins, der einen ehrlichen Namen und ein offenes Gesicht hat, unser junger Unschuldiger; Dick Muller, der Philoktetes dieses Buchs, der erfahrene Diplomat und Soldat und Krieger, jetzt im Exil; und Charles Boardman, die schlaue ältere eminence grise, der Ereignisse udn Leute so gut er kann manipuliert. Sie bilden eine männliche Dreiergruppe, reichen von Ehre und Integrität bis zu Berechnung und Kompromissbereitschaft: das männliche Gegenstück zu der Maid, der Mutter und dem alten Weib – oder etwas abgedrehter, zum Vater, Sohn und einem außergewöhnlich verschlagenem Heiligen Geist.

Und jeder Mann bekommt, wie der Leser erfährt, von Silverberg einen eigenen Irrgarten – einen Irrgarten, der über das Greifbare, über die Videospiel-Todesfalle hinausgeht. Es sind unsichtbare Labyrinthe, sie sie überwinden müssen, und in denen sie sich verstecken - ein Irrgarten der Moral, einer der Ethik, und letzendlich, ein Irrgarten der Menschlichkeit.

Neil Gaiman Juni 2002

....


Toll, dass du ein Tim Minchin Video verlinkt hast! Ich habe seine Show letzten Samstag in NY gesehen und geliebt. Er ist witzig und talentiert und ein sehr netter Kerl. Ich bin allerdings ein wenig überrascht, dass du seinen Nachnamen nicht erwähnst oder in der Labeln verlinkst. Normaerweise nennst du doch die, die es wert sind. (Nachnamen machen die Suche sehr viel einfacher, da du anscheinend über einge Tims schreibst.)

~Lexa


PS Minchins Show läuft nochbis zum 12. April und nein, ich arbeite nicht für ihn. Bin nur ein Fan.

Hast Recht. Das Inflatable You Lied war von Tim Minchin.

Hey Neil,

Ich schreibe nun schon seit einer Weile Geschichten, seit ich begonnen habe, deine Bücher zu lesen, aber ich habe ein paar Probleme. Eine meiner Geschichten ist 210 Seiten lang, ich schreibe seit anderthalb Jahren dran, und ich wollte sie jetzt überarbeiten, aber habe keine Ahnung, wo ich anfangen soll. Ich vergesse schon die ersten Details aus dem Hintergrund des Hauptcharakters und so, und es wird langsam echt nervig. Ich will weiterkommen, kann aber nicht, solange ich den Rest nicht überarbeitet habe. Ich fühle mich verloren!!

Ist dir das schon einmal passiert, und falls ja, wie bist du damit klargekommen???

~Deine treue Leserin, Laura: eine kämpfende 14 jährige, die gerne irgendwelche Geschichten schreibt.


=]


Zuerst einmal: Alle Achtung! Ich hätte mit 14 kein Buch von 210 Seiten schreiben können.

Was du machst, musst du selber wissen. Ich kann dir ein paar Vorschläge machen, aber es sind wirklich nur Vorschläge:

Normalerweise würde ich sagen, versuche, das Buch zuende zu schreiben, irgendwie, um weiterzukommen. Dann lass das fertige Buch ein paar Wochen links liegen und lies es dann noch einmal komplett durch, wobei du dir Notizen machst, was gut klappt und was nicht so gut ist, was verändert oder erweitert oder gestrichen werden muss. Wenn du das getan hast, überarbeite dein Buch.

Aber du bist vierzehn. Und du schreibst schon ein Jahr daran. Das ist ein Alter, in dem man sich wirklich schnell verändert. Im Moment lernst du, wie man schreibt, Charaktere entwirft und sie sprechen lässt, herausfindet, was mit ihnen passiert. Aber die Geschichten, die du mit 13 erzählen willst sind vielleicht nicht die Geschichten, die du mit 15 erzählen willst (oder vielleicht doch.)

Ich schätze, ich will sagen, dass es keine schlechte Sache ist, wenn du zur nächsten Geschichte übergehen willst. Du solltest die, die du grade schreibst, zuende schreiben, um zu lernen, wie das geht. Aber du lernst so viel, was auch immer du als nächstes tust, es wird viel besser sein als das, was du letztes Jahr getan hast...

Hi Neil,

wieviel deiner ersten Entwürfe sind eigentlich verwertbar, wenn du eine Geschichte schreibst? Wieveil muss neu geschrieben und überarbeitet werden? Ich merke erst jetzt, dass du so produktiv bist, dass du wahrscheinlich nur wenig wegschmeißt.

I'ch fühle mich momentan nur etwas mutlos, und sorge mich, dass mein erster Entwurf totaler Müll ist, und sich die Mühe nicht gelohnt hat. (Obwohl das vielleicht daran liegt, dass ich meinen ersten Entwurf immer nahtlos niederschriebe, wie er mir einfällt, und immer wenig Sinn macht, wenn ich ihn dann nochmal durchlese, und überarbeitet werden muss.)

Danke,
Gary B. Phillips


Wahrscheinlich sind gut 90 % von dem, was ich schreibe, schon im ersten Entwurf ok. Vielleicht sogar 95 %. Es sind normalerweise die letzten 5 %, die Ordnungen, die kleinen Sachen, die das Geschriebene von nur ok zu etwas machen, auf das ich stolz sein kann.

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