Montag, April 21, 2008

The Fairy Feller's Master Stroke

Von Neil, Samstag, 12. April, 2008, 18:11 Uhr

Da ich gestern daran erinnert wurde, ist hier die Einleitung zu Mark Chadbourns preisgekrönter Erzählung The Fairy Feller's Master Stroke. ( Für die Neugierigen ist hier ein Link zu der Webseite des Verlegers. Als Taschenbuch ist es ausverkauft, aber sie haben noch ein paar gebundene Exemplare.) (Klickt auf das Bild, um es viel größer zu sehen.)


Ich und mein Dadd und Mark Chadbourn.

Mein Verstand sagt mir, dass ich das Bild selbst, das geheimnisvoll betitelte Fairy Feller’s Master Stroke, zum ersten Mal nachgedruckt in voller Größe mit 14 oder so auf dem ausfaltbaren Cover eines QUEEN Albums gesehen habe und es hat überhaupt keinen Eindruck auf mich gemacht. Das gehört zu den merkwürdigen Dingen bei diesem Bild. Man muss es im Original sehen, Farbe auf Leinwand, das echte, das meistens, wenn es nicht unterwegs ist, im Raum der Preraffaeliten in der Tate Gallery, etwas verloren zwischen den grandiosen Schönheiten der Preraffaeliten, die alle so viel größer udn kunstvoller sind als der bescheidene Elfenhof, der durch die Gänseblümchen spaziert, damit es wirklich wird. Und wenn man es sieht, werden mehrere Dinge klar, manche sofort, manche mit der Zeit.

Als ich Anfang 20 war, erhielt ich ein Exemplar eines Buches zur Rezension, ein Buch über Fotos eines viktorianischen Doktors namens Diamond, die er von den Insassen von Bedlam gamcht hatte. Hoffnungslos beschmutzte Wahnsinnige, die ihre Hände ringen während sie in die Kamera blinzeln und unbehaglich mit unbewegten Gesichtern posieren, solange der Film zum Belichten brauchte, auch wenn ihre Hände oft wie flatternde Täubchen verschwimmen. Portraits von Verrücktheit udn Schmerz und in nur einem der Fotos war ein Mann, auch ein Wahnsinniger, zu sehen, der tatsächlich etwas tat.

Der Verrückte in dem Foto hat einen Bart. Er hat eine Staffelei vor sich, auf der er ein kleines ovales Bild von erstaunlicher Feinheit malt. Er starrt clever in die Kamera, und auf seinem Gesicht ist ein kleines, scharfes Lächeln zu sehen. Seine Augen glänzen. Er sieht gedrungen und stolz aus, und als ich ein Jahr später zum ersten Mal sein Meisterstück The Fairy Feller’s Master Stroke im Original sah, war das erste, was mir auffiel, dass der traurige Zwerg mit dem weißen Bart, der die Mitte des Bildes dominiert und den Betrachter anstarrt, der gealterte Richard Dadd ist.

Die Leute, die den Raum der Preraffaeliten in der Tate Gallery besuchen, tun das aus ihren eigenen Gründen, und antworten auf etwas entferntes und melodisches. Die Waterhouses und die Millaises und die Burne Joneses setzen ihre eigene Magie ein: Zuschauer wandern an den Bildern vorbei, ihre Leben bereichert. Der Dadd hingegen ist eine Falle und diejenigen, die in ihrer Selle einen Platz für ihn haben, sind gefangen. Sie können tatsächlich stundenlang vor dem Gemälde stehen, darin verloren, und sich über die Elfen und Goblins und Männer und Frauen wundern, versuchen, ihre Größe, ihre Form, ihre Exzentrizitäten wundern (“Jedesmal, wenn ich es mir anschaue, sehe ich etwas neues." wie Mark Chadbourns Erzähler Danny, oft so unzuverlässig aber in diesem Punkt zuverlässig, uns erzählt).

Dadd wusste, wer sie waren, die Leute in dem Gemälde. Er kannte ihre Leben. Er wusste, was sie waren. Man weiß das, wenn man sie sieht.

Falls man das Gemälde nur gedruckt gesehen hat, falls man auf einer reise ist, um sich genau das anzusehen, dann ist das nächste, was einen überrascht, die Größe. Es ist kleiner, als man gedacht hat – kleiner als möglich scheint. Es muss immerhin sehr viel hereinpassen. Der autorisierte Druck der Tate Gallery von The Fairy Feller’s Master Stroke, den ich gekauft habe, nachdem ich es gesehen hatte, ist fast doppelt so groß wie das Gemälde selbst .

Und das Gemälde ist nicht der Druck. Das Bild selbst, in seinem Rahmen, besitzt Magie – in den Farben, im Detail -- die kein Foto, kein Poster, keine Postkarte je ansatzweise zu fassen scheint.

So schaut man wie Danny und seine Mutter das Bild an, und sieht jeden Pinselstrich.

Und man kann es sich stundenlang ansehen, bevor einem etwas anderes an dem Gemälde auffällt, etwas so großes und merkwürdiges und offensichtliches, dass man nicht verstehen kann, warum man es nicht sofort gesehen hat, oder warum niemand sonst ein Wort darüber verloren hat.

Es ist unvollendet.

Ein Großteil des unteren Teils, wo die Farbwahl merkwürdig und ausgewaschen scheint, sind nur auf dem feinen Braun der Leinwand vorgezeichnet. Das Gras in Beige, dass den Blick zu dem Fäller lenkt, ist deshalb beige, weil Dadd – der viele Jahre brauchte, um es zu malen – keine Zeit mehr hatte. Er verschenkte es, bevor es fertig war.

Und es gibt eine weitere Sache, die man weiß, ohne Frage, wenn man sich das Original anschaut, udn zwar folgendes: er wusste, was er malte. Er hatte es gesehen, mit diesen cleveren Augen. Er war auf die große Reise gegangen, die größte aller Reisen, und das war, was er zurück brachte.

Da war dieses Gefühl, dass eines der großen Geheimnisse des Universums gelüftet werden könnte, wenn man es sich nur lange genug anschauten würde, um die Hinweise zu verstehen, sagt Danny, sagt Mark, und sie haben natürlich Recht.

Vor seiner Verrücktheit, vor dem Mord seines Vaters, vor der unter einen schlechten Stern stehenden Reise nach Frankreich (er wurde im Zug nach der Attacke auf einen Mitreisenden festgenommen, auf dem Weg nach Paris, um den Kaiser zu töten) waren Dadds Gemälde recht hübsch, und völlig normale, gewöhnliche Pralinenschachteldeckelbilder von Elfenszenen aus Shakespeare. Nichts außergewöhnliches. Nichts, was die Zeit überdauern würde. Nichts echtes.

Und dann wurde er verückt. Nicht nur ein wenig verrückt, sondern spektakulär verrückt; eine vatermörderische Verrücktheit voller Dämonen und altägypischer Götter. Er verbrachte den rest seines Lebens hinter Gittern - erst in Bedlam, später als einer der ersten Gefangenen von Broadmoor – und nach einer Weile bagnn er zu malen und tauschte seine Bilder gegen Gefallen ein. Die Pralinenschachtelelfen waren verschwunden. Jetzt waren seine Bilder von Elfen, Bibelszenen, Mitinsassen (echten oder eingebildeten) von solcher Intensität, dass sie sie, die wir noch haben, zu solchen Schätzen macht. Sie waren mit solcher Intensität und Zielstrebigkeit gemalt, dass es unheimlich ist.

Er verbrachte den rest seines Lebens hinter Gittern, eingesperrt mt den gefährlich Irren, so gefährliche irre wie jeder von ihnen, aber mit einer Botschaft für uns, einer Botschaft von der anderen Seite. Davon abgesehen war sein Leben verschwendet.

Dennoch hinterließ er uns Gemälde, Rätsel und ein unvollendetes Gemälde (der Tate von Siegfried Sassoon überlassen, wenn ich mich recht erinnere), das uns weiterhin verfolgt. Angela Carter schrieb ein erstaunliches Hörspiel über das Bild, Dadds Leben, viktorianische Kunst: Come Unto These Yellow Sands. Ich habe mal eine Filmbesprechung geschrieben, in der dieses Bild der Schlüssel war, und einmal war ich kurz davor, eine Anthology zu organisieren, in der jede Geschichte von einem der Zeugen des Kastanien-zerschmetternden Schlages des Fairy Fellerhandeln sollte. Und jetzt gibt uns Mark Chadbourn einen Roman, in dem das Gemälde ein Hinweis (vielleicht), eine Mordwaffe (möglich) und vor allem unbestreitbarerweise ein Schlüssel ist: ein Schlüssel zu einem Leben, zu einer Familie, zu einem Geheimnis, zu Lösungen, zu Irrsinn und vor allem zu der Realität.

Es ist eine geschichte eines verschwendeten Lebens, eine Geschichte über Liebe und Schmerz, und über einen Ort, an dem Dadd Gemälde und Dadds Leben beide eine Vorlage udn eine Ausrede werden: ein Grund zu leben, und ein grund zu sterben, und erst am Ende verstehen wir, was wir gelesen haben.

Bietet Mark Chadbourns Geschichte eine Antwort auf das Rätsel des Elfen-Fällers und seines meisterlichen Schlags? Dannys Mutter denkt sicher so, aber Danny selbst erkennt, dass jede Antwort nur ein Schritt auf dem Weg sein kann. Dass das Geheimnis, wie das Gemälde, wie unser Verständnis des Malers immer unvollendet bleiben wird. Und das ist vielleicht der meisterlichste Schlag von allen...


Neil Gaiman
6. April 2002

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